Dieser Artikel erschien als Print-Veröffentlichung im Mitglieder-Magazin des VGA-Bundesverband der Assekuranzführungskräfte e.V. in der Ausgabe Jahrgang 71, 2022 – Nr. 1 und wird mit freundlicher Genehmigung der Geschäftsführung an dieser Stelle der Branchen-Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Wohin wird sich der Versicherungsvertrieb in den kommenden Jahren entwickeln, welche Faktoren werden für den Erfolg der Vermittlerbetriebe besondere Wirkung entfalten? Diesen Fragen widmen sich in unserer gemeinsamen Kolumne Thomas Burdack und Sebastian Heithoff.
Das Thema heute:
Unterstützen AO-Vertriebe ihre Agenturen hinreichend bei der digitalen Sichtbarkeit?
In unserer heutigen Kolumne müssen wir leider mit einer klaren Erkenntnis starten: Die Mehrheit der deutschen Ausschließlichkeitsvermittler erhält keine oder eine unzureichende Unterstützung in der professionellen Nutzung digitaler Kommunikationskanäle.
Sebastian Heithoff konnte dies in der Einzelbetreuung hunderter Vermittler in den letzten Jahren beobachten, auch aus der Warte des Vertriebsmanagements zieht Thomas Burdack die Bilanz, dass hier einfach mehr zu tun ist, als bislang geschehen.
Woran hapert es genau? Werden die Agenturen einfach nur unzureichend betreut bzw. begleitet? Insbesondere fällt in der marktweiten Betrachtung auf, dass die Intensität der Unterstützung durch den betreuenden angestellten Außendienst in diesem noch neuen Kompetenzfeld nicht ausreicht.
Dies liegt u.a. schlicht daran, dass der betreuende Außendienst bislang nur sehr begrenzt auf die Unterstützung der Agenturen bei der digitalen Kundenkommunikation vorbereitet wird. Es fehlt neben dem zeitlichen Engpass auch schier an der zwingend nötigen Ausbildung, um hier zukunftsweisende Agenturentwicklung zu betreiben.
Viele Agenturen fühlen sich allein gelassen mit der sphärischen Mission, „Werdet digital und macht eure Kunden an jedem Kundenkontaktpunkt glücklich!“ Der Vermittler denkt sich: „Was zum Kuckuck ist ein Kundenkontaktpunkt? Muss man den drücken?! Ich soll doch Abstand halten?“ Die Versicherungsagenturen werden meist nur mit einer Policy versehen und dürfen sich aus dem Topf zentral eingestellter Postings bedienen.
Sie haben so lediglich eine vage Ahnung dessen, was sie können und tun sollen. Es existiert kein Fahrplan und auch kein qualifizierter „Fahrlehrer“, denn der hat entweder 100 andere Fahrschüler parallel zu betreuen oder ist gerade wieder mal selbst auf Fortbildung. Sie verstehen die Metapher?
Woran es fehlt und wie man Abhilfe schafft
Wenn man Versicherungsagenturen fragt, wo beim Thema „digitale Kommunikation“ der Schuh drückt, dann ist die Aussage fast immer „Ansprechpartner“ oder „Anleitung“. Diese beiden Faktoren pressieren enorm, denn die einen wollen/brauchen schlicht einen vertrauensvollen Begleiter, die anderen wollen eine Struktur, an der sie sich entlang arbeiten können. Doch es fehlt leider in der Breite an beidem. Zentrale Seminare können hier nur bedingt Abhilfe schaffen! Es bedarf zusätzlich insbesondere einer engmaschigen Begleitung der Agenturen in der Umsetzung, um Erfolg und dauerhafte Motivation zu etablieren.
Die Bereiche Vertrieb, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit, Schulung und insbesondere die Agenturen, müssen sich auf eine gemeinsame „Marschrichtung“ verständigen. Kundenzentriert denken ist der Slogan in vielen Versicherungszentralen. In Sachen Digitalkompetenz empfehlen wir vermittlerzentriert zu denken: Der Vermittler ist nämlich nicht der verlängerte Arm der Marketing- oder Presseabteilung. Die Postings der Versicherer über seine Social-Media-Accounts weiterzuleiten ist nicht zielführend, wenn die Agentur die Beziehungen zu Kunden und Zielgruppen selbstständig, mit einem eigenen, unverwechselbaren Profil, aufbauen soll.
Wie ein konkreter Lösungsansatz aussieht? Nun, einige Zutaten sind hier ad hoc aufgezählt, obwohl die individuelle Abstimmung einer passgenauen Planung bedarf:
- Wöchentliche Gruppencalls tragen zu einer engmaschigen Betreuung enorm bei und verstärken auch ein Wir-Gefühl. Die Gruppengrößen sollte hierbei nicht 10 Teilnehmer:innen überschreiten.
- Ausbildung von Mitarbeiter:innen in den Agenturen zur Touchpointmanager:in mit Schlüsselquailifikationen in Sachen Daten- und Kontaktmanagement, Terminierung und Beherrschung der digitalen Kanäle. Dies umso mehr, da die Kontaktrate, die Ansprachequalität und die neuen Kundenkanäle in Zukunft gänzlich andere Anforderungen stellen.
- Vertriebsführung und Agenturen müssen die Herausforderung erkennen, dass die Kundenkontakte sich nicht allein auf Vertragsabschlussgespräche beschränken dürfen. Auch „Kuschelcalls“ und „Social-Media-Beziehungen“ belegen das echte Interesse an einer langfristigen Partnerschaft. Technische Möglichkeiten sind ein Vehikel, für das die Agenturen aber einen Führerschein und Fahrpraxis benötigen.
Die Budgets für Digitalisierung sind bei den Versicherern in den letzten Jahren stark erhöht worden. Ist aber der Topf für die digitale Fitness der Agenturen auch aufgefüllt worden? Der personale Vertrieb hat nur dann eine Zukunft, wenn er mit den digitalen Kommunikationswerkzeugen der Gegenwart und den noch kommenden Entwicklungen souverän umgehen kann. Dies erfordert in der Vertriebssteuerung zunächst ein vermittlerzentriertes Mindset, interne und/oder externe Praxiserfahrungen, ein professionelles Weiterbildungs- und Trainingsprogramm und schlussfolgernd auch Investitionskraft.
Thomas Burdack,
in der Versicherungsbranche seit 1970. Aufbau und Leitung einer Versicherungsvertriebsgesellschaft in Lübeck, Rostock und Riga. 1997 folgte der Wechsel zur Provinzial Nord, zunächst als Bezirksdirektor für den AO-, Makler- und Sparkassenvertrieb. Ab 2007 Leiter Agenturentwicklung und Weiterbildung. Seit 2017 selbstständiger Berater, Trainer, Vortragsredner und Gründer des ID Campus. Schwerpunkte: Agenturmarketing, Absatzstrategie, Trends im Versicherungsvertrieb, Wandel vom Verkäufer zum Risikocoach, Beratungskonzepte für Gewerbekunden, Entwicklung vom Verkäufer zum Unternehmer.
Sebastian Heithoff,
in der Versicherungsbranche seit 2007. Langjährig im Bereich Online-Kommunikation und Marketing aktiv, seit 2016 in beratender Funktion für die Assekuranz, erst angestellt bis zur Teamleitung, seit 2020 als selbstständiger Unternehmensberater für den Versicherungsvertrieb tätig. Schwerpunkte sind hierbei die Bereiche Positionierung („Vermittlermarke“) und Digital Enablement.