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Dieser Artikel erschien als Print-Veröffentlichung im Mitglieder-Magazin des VGA-Bundesverband der Assekuranzführungskräfte e.V. in der Ausgabe Jahrgang 71, 2022 – Nr. 3 und wird mit freundlicher Genehmigung der Geschäftsführung an dieser Stelle der Branchen-Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Wohin wird sich der Versicherungsvertrieb in den kommenden Jahren entwickeln, welche Faktoren werden für einen Erfolg der Vermittlerbetriebe besondere Wirkung entfalten? Diesen Fragen widmen wir uns in dieser Kolumne in den VGA-Nachrichten. Wir, das sind Thomas Burdack und Sebastian Heithoff, ein gebürtiger und ein Wahl-Lübecker. Wir möchten uns Ihnen kurz vorstellen: 

Thomas Burdack vom ID Campus

 Thomas Burdack (*1952),
in der Versicherungsbranche seit 1974. Aufbau und Leitung einer Versicherungsvertriebsgesellschaft in Lübeck, Rostock und Riga. 1997 folgte der Wechsel zur Provinzial Nord, zunächst als Bezirksdirektor für den AO-, Makler- und Sparkassenvertrieb. Ab 2007 Leiter Agenturentwicklung und Weiterbildung. Seit 2017 selbstständiger Berater, Trainer, Vortragsredner und Gründer des ID Campus. Schwerpunkte: Agenturmarketing, Absatzstrategie, Trends im Versicherungsvertrieb, Wandel vom Verkäufer zum Risikocoach, Beratungskonzepte für Gewerbekunden, Entwicklung vom Verkäufer zum Unternehmer.

 Sebastian Heithoff (*1986),
in der Versicherungsbranche seit 2007. Langjährig im Bereich Online-Kommunikation und Marketing aktiv, seit 2016 in beratender Funktion für die Assekuranz, erst angestellt bis zur Teamleitung, seit 2020 als selbstständiger Unternehmensberater für den Versicherungsvertrieb tätig. Schwerpunkte sind hierbei die Bereiche Positionierung („Vermittlermarke“) und Digital Enablement.

Hinweis: Wir bitten um Verständnis dafür, dass unsere Kolumne noch nicht durchgängig gendergerecht formuliert ist. Im Sinne einer besseren Lesbarkeit beschränken wir uns auf die männliche Form, meinen aber explizit auch unsere geschätzten Kolleginnen. 

Agenturentwicklung – und welche Rolle spielt der unterstützende Außendienst?

Die Versicherungswelt, insbesondere der Vertrieb, steht vor dem größten Wandel seiner Geschichte. Welche Vertriebswege haben Zukunft, wie digital wird der Kunde, welche neuen Player und weitere verschärfte gesetzliche Auflagen rütteln an den Toren der etablierten Vertriebswege? Wo kommt der Nachwuchs für die Vermittlungsbetriebe her? Die Antworten auf diese Fragen sind größtenteils noch nicht gefunden. 

So langsam haben auch die Glaskugelvisionäre geschnallt, dass der Ausschließlichkeitsvertrieb nicht untergeht. Aktuelle Zahlen des GDV belegen, auch in Komposit sind die Einfirmenvermittler spitze. 

Aber wohl kein Vertriebsweg muss mehr Veränderungsbereitschaft zeigen als die Ausschließlichkeitsvermittler. Deren Schicksal wird jedoch nicht ohne dessen Vertragspartner, den Versicherer, entschieden. Freie Vertriebe, wie z.B. die Versicherungsmakler, können fusionieren oder verkaufen, was gerade in einem noch nie dagewesenen Hype geschieht. Hingegen hat der HGB84er-Vermittler keine Bestandsrechte. Er wird mit dem unzeitgemäßen Ausgleichsanspruch nach § 89 HGB abgefunden. 
Fehlt es nun an einer zukunftsfähigen Vertriebsstrategie der Versicherer, so kentert deren AO-Schiff und die Besatzung der Exklusivvermittler geht ebenfalls unter. 

Mit dieser Erkenntnis haben viele Versicherer in engagierten Projekten die Neuausrichtung ihrer AO im Fokus. Unternehmeragenturen, Digitalkompetenz, Agenturzusammenlegungen, Spezialisierungsmodelle, Zielgruppenkonzepte sowie neue Betreuungsstrukturen und -aufgaben sind die Rezepturen, mit denen – meist noch auf Versuchsebene – die Zukunft gemeistert werden soll. 

„Es wird Zeit für etwas Neues“ (Die Ärzte)

Warum Eile, es läuft doch noch richtig gut im AO-Vertrieb. So loben Vorstände gern den AO-Vertrieb für die zielgerechten Beitragszuwächse, die aber zu großen Anteilen aus dynamischen oder automatischen Beitragsanpassungen gewonnen werden. Parallel laufen die Kostenoptimierungsmaßnahmen im Vertrieb, nämlich die Zusammenlegungen von Betreuungseinheiten (z.B. Landes-, Regional oder Bezirksdirektionen). Das schafft geographisch weiträumigere Marktverantwortungsgebiete mit ungünstigeren Betreuungsspannen und geht zu Lasten der persönlichen Kontakte zu den Agenturen. So manch Agenturbetreuer oder Bezirksdirektor mutiert dann zum hochdotierten Kraftfahrer mit beratender Nebentätigkeit. Wie nachhaltig ist das denn?

Veränderung und Entwicklung im Exklusivvertrieb werden insbesondere durch emotionale, persönliche Beziehungen sowie Vertrauen und Nähe befördert. Wir sprechen hier gern vom Touchpointmanagement; denn berühren (touch) ist mehr als kontakten. Und Veränderungen brauchen Zeit. Meist mehr als die durchschnittliche Verweildauer eines Vertriebsvorstandes in der Assekuranz. 

Bei diesen organisatorischen Entwicklungen ist das eine echte Herausforderung für die überwiegend noch analog agierenden Agenturisten, aber mehr noch für die Agenturbetreuer oder Bezirksdirektoren. Neben dieser emotionalen und vertrauensbasierten Nähe bedarf es aber einer inhaltlichen Neuausrichtung der Unterstützungsleistung durch den betreuenden Außendienst. Und an dieser Stelle wird sich Erfolg oder Misserfolg der Neuausrichtung der Ausschließlichkeit festmachen.

„Die Treppe wird immer von oben gefegt“

In unseren zahlreichen Gesprächen mit Vertriebsverantwortlichen wurde offenbar, dass es viele gute Entwicklungskonzepte für die Agenturen gibt, aber vorab wenig strukturierte Personalentwicklungen für den Führungsaußendienst. Underwriter und Fachspezialisten sind hiervon weniger berührt als die Betreuenden mit Orgaaufgaben und die Agenturentwickler, die kein Spartenwissen liefern müssen. 

Wie glaubwürdig ist denn eine Agenturbetreuung, wenn es zum Beispiel um die digitale Kommunikation mit Kunden geht und die Vertriebsunterstützer selbst nicht in den sozialen Netzen agiert und kein Anwenderwissen hat. Es ist grausam, wenn Agenturinhaber von hausinternen Seminaren kommen und den Vertriebsleiter über Agenturführungsthemen informieren, die dieser noch nie gehört hat, geschweige denn, dazu vor Ort unterstützen kann.  

Wie soll denn hier Kompetenzanmutung entstehen, wenn der zuständige Führungsaußendienst vorab nicht über alle Handlungsfelder und Inhalte der künftigen Agenturmanagement- und -führungsthemen trainiert ist und so „in einem Guss“ seine Unterstützung passgenau einbringen kann. 

Bei zahlreichen Versicherern werden diese Agenturmanagement-Spezialisten nur zentral vorgehalten und stehen den einzelnen Agenturen nur homöopathisch zur Verfügung. All zu oft erleben wir, dass es hier keine oder ungenügende Schnittstellen gibt. 

Damit degradiert man diese wichtigen „Entwicklungscoaches“ und riskiert deren Ruf als überflüssige „Zeitdiebe“, die nur den Teppich in der Agentur abnutzen (Originalzitat). Sätze wie: „Das Geld für die könnt ihr lieber uns geben“, sind eine Ohrfeige für die Versicherer, die hier ihrer Verantwortung für die zukunftsfähige Entwicklung ihrer eigenen Vertriebsmitarbeiter nicht gerecht werden. Schlimm, wenn diese wichtigen Repräsentanten vor Ort auch noch bei der Agentur ihre Unzufriedenheit durch allseitig fehlende Anerkennung und Wertschätzung zeitraubend kommunizieren.

Das dürfen wir selbstverständlich nicht verallgemeinern und möchten ausdrücklich betonen, dass wir hier eine sehr lange Namensliste liefern könnten, für die dieses Szenario nicht zutrifft und die in die Hall of Fame für exzellente Vertriebsunterstützung aufgenommen werden müssen. Aber oft sind diese Männer und Frauen autodidakt „programmiert“ und warten nicht auf Unterstützungsangebote ihres Arbeitgebers. 

Veränderungen in schwierigen Zeiten erfordern allseitige Verbindlichkeit und Konsequenz. Nur zu oft belässt man zahlentechnisch erfolgreichen Vertriebseinheiten ein „Eigenleben“ ohne neue Verfahrensweisen verbindlich zu implantieren. „Warum soll ich mich ändern, läuft doch richtig gut bei mir“, hören wir gelegentlich. Hier ist Führung von ganz oben zu empfehlen, die dann in jede Vertriebseinheit wirken muss, sonst bleibt der Aufbruch in eine neue Zeit eine Blaufahrt für Individualisten und das hält keine größere Organisation durch.

Aus unseren langjährigen Erfahrungen halten wir die nachstehenden Schritte für empfehlenswert. 

  • Klares Verständnis schaffen über die zukünftigen Rollen und Aufgaben des Führungsaußendienstes und den Agenturbetreuenden auf Basis der strategischen Ausrichtung und der Projektergebnisse.
  • Die zukünftigen Aufgaben, Ziele und Handlungsfelder aller Vertriebsmitarbeiter, die am Agenturerfolg mitwirken, präzise beschreiben und aufeinander abstimmen. Am besten in einem digitalen Handbuch, das erleichtert auch Neubesetzungen.
  • Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten auf der Grundlage des künftig geforderten Handelns individuell durch Selbst- und Fremdeinschätzung in einem Soll/Ist-Vergleich ermitteln.
  • Auf Basis des vorangegangenen Wissenschecks ein individuelles Personalentwicklungsprogramm gestalten. Hierfür eignet sich ein digitaler Entwicklungsplaner.
  • Die Gestaltung und konstruktive Mitwirkung der disziplinarischen und fachlichen Führungskräfte bei der Personalentwicklung klären und regeln.
  • Die Seminare, Trainings und Coachings abstimmen und organisieren.
  • Einen Monitoring- und Feedbackprozess installieren.
  • Die Betroffenen von Anbeginn in die Veränderungs- und Entwicklungsprozesse des Agenturvertriebes einbinden.

Konzernerfahrene wissen, dass das nicht mal so nebenbei geregelt werden kann. Personalabteilung, Betriebsrat, Orga- und Schulungsbereich, IT, Hausverein der AO, Vertriebssteuerung und manch weiterer Bereich ist hier einzubinden. 

Wer dieses Thema aber „aussitzt“ unterschätzt die Dimension der Veränderungen im Versicherungsvertrieb. Bis wir im AO-Vertrieb autark handelnde Unternehmeragenturen haben, die alle Kompetenzen selbst an Bord haben, vergeht noch eine ganze Weile und für diesen Weg brauchen die Versicherer die besten Trainer, Kümmerer und Entwicklungshelfer. 

In den 60er Jahren hätte „Tante Emma“ diese „guten Geister“ auch dringlichst gebraucht, aber dann kamen die Brüder Albrecht … und heute sind die Produzenten die Bittsteller dieser gigantischen Vertriebseinheiten wie z.B. LIDL, REWE und ALDI. Wäre schade, wenn die Versicherer ein gleiches Schicksal ereilt.

Versicherungsvertrieb neu gedacht – Dies ist das Motto des ID Campus in Lübeck/Bad Schwartau.
Sebastian Heithoff

Sebastian Heithoff

Unternehmensberater Digital & Positionierung

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